Stellungnahme des Club Helvétique zur Neutralitäts-Initiative SVI

Wegschauen als Staatsdoktrin

Die Neutralität darf man durchaus überdenken. Aber bitte gestützt auf ihre Geschichte und auf die Fakten. 

Keine Sanktionen zu übernehmen, bei Konflikten keine Stellung zu nehmen bedeutet, sich um seine Verantwortung zu drücken. Es heisst, die Angreifer gleich zu behan­deln wie die Ange­griffenen. Es heisst, Täter und Opfer gleichzustellen. Damit gäbe die Schweiz, das Land der humanitären Tradition, der Hort der Menschenrechte, ihre eigenen Ansprüche auf zugunsten des ängstlichen, letztlich feigen Wegduckens.

Die Initianten, SVP und „Pro Schweiz“, inszenieren erneut einen Eiertanz um den Mythos der Neutralität und dies mit geschichtswidrigen Vorstellungen: Die schwei­zerische Aussenpolitik muss sich nach den in der Bundesverfassung verankerten Zielen richten. Danach setzt sich der Bund ein für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt; er trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Die Neutralität als Instrument der Aussen- und Sicherheitspolitik muss diesen Zielen dienen; sie weist keinen Selbstzweck auf. 

 Die Schweiz hat deshalb die Neutralität immer flexibel gehandhabt und wiederholt wirtschaft­liche Sanktionen gegen Staaten mitgetragen, die in krasser Weise gegen elementare Regeln des Völkerrechts verstossen haben. Behauptungen, wonach die Übernahme der Sanktionen gegen Russland die Neutralität verletzten und eine Ab­kehr von der bisherigen Praxis bedeuteten, sind falsch. Ebenso falsch ist, dass die Guten Dienste der Schweiz von der Neutralität abhingen. Auch Mitgliedstaaten der NATO wie etwa Norwegen und aktuell die Türkei waren als Vermittler gefragt. 

Grundsätzlich ist die Bedeutung der Neutralität heute und morgen durchaus zu über­denken. Sie war zwar sehr wohl erfolgreich bei Kriegen zwischen europäischen Staaten im Umfeld der Schweiz, bei vielen modernen Konflikten kann die Neutralität hingegen keine Rolle spielen. Und die Geschichte lehrt uns, dass die Neutralität immer nur soviel wert war, wie sie im Interesse aller kriegsführenden Staaten lag. Gefordert ist deshalb eine kluge und vorausschauende Aussen- und Sicherheitspolitik auf der Grundlage unserer Verfassungsziele, eine Politik, die sich nicht hinter einem diffusen und geschichtswidrigen Bild der Neutralität versteckt.